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Gespräch

Pfarrerin Claudia Vetter-Jung verabschiedet sich aus Wiesbaden

Pfarrerin Claudia Vetter-Jung war fast 20 Jahre Altenseelsorgerin in Biebrich, jetzt wechselt sie nach Frankfurt-Niederrad. Um das eigene Alter mit seinen Einschränkungen besser annehmen zu können, rät sie jüngeren Menschen unter anderem, "die Hände immer mal wieder in den Schoß zu legen und aus dem Macher-Modus auszusteigen". Das gesamte Gespräch lesen Sie, wenn Sie auf die Überschrift klicken.

Mit welchem Gefühl treten Sie Ihre neue Stelle an – jetzt in der Corona-Krise?
Claudia Vetter-Jung: Ich freue mich auf die neue Herausforderung. Ich bin neugierig auf die Menschen in Niederrad. Was Corona betrifft, finde ich es schade, dass so viele Möglichkeiten, Menschen kennenzulernen derzeit leider nur eingeschränkt möglich sind. Andererseits birgt jede Krise auch eine Chance – manches muss oder besser darf in der Kirchengemeinde zumindest für das nächste halbe Jahr neu geplant werden – da bin ich jetzt von Anfang an dabei.

Warum wechseln Sie nach fast 20 Jahren als Altenseelsorgerin in eine Kirchengemeinde?
Als ich damals in der Altenseelsorge anfing, hatte ich zu Hause zwei kleine Kinder. Für mich war die eher kontemplative, seelsorgerliche Arbeit im Pflegeheim, wo man sich auf einzelne Menschen konzentrieren kann, ein Ausgleich zu meiner häuslichen Situation. Und dann bin ich geblieben und hab mich spezialisiert. Jetzt sind meine Kinder längst erwachsen und mich lockt wieder die Gemeindearbeit mit ihrer Lebendigkeit und Vielfalt. Ich freue mich auch, dass ich von meinem reichen Erfahrungsschatz etwas an die Menschen in der Gemeinde weitergeben kann. Zum Gemeindegebiet gehören auch zwei Pflegeheime – Seelsorge als Schwerpunkt wird sicher bleiben.

An welche Begegnungen erinnern Sie sich gerne, wenn Sie zurückblicken?
An einen meiner ersten Besuche im Pflegeheim: Innerhalb von einer Viertelstunde bedankte sich die Frau, die ich gerade besuchte, rund zehnmal dafür, dass ich da bin. Manch einem erscheint das komisch oder auch sinnlos, ich finde, es hat was, wenn man in so kurzer Zeit so viel Dank bekommt.
Ein zweites Erlebnis: Ich besuchte eine Frau, der – so glaubten wir – die Demenz die Worte geraubt hatte. Wir verständigten uns nur mit Lauten. Als ich mich verabschiedete, sagte die Frau klar und deutlich: „Vielen Dank für Ihren Besuch“. Solche überraschenden Erlebnisse hatte ich immer wieder – das fasziniert mich an der Arbeit mit Menschen mit Demenz bis heute.

Neben Ihrem Dienst im Katharinenstift waren Sie auch Seelsorgerin in der DKD Helios Klinik, wo unter anderem hochinvasive Medizin betrieben wird. Wie haben Sie diesen Kontrast empfunden?

Sehr spannend. In der DKD wird alles getan – auch finanziell –, um das Sterben zu verhindern. Ich hätte mir nie vorstellen können, wie sehr Menschen um ihr Leben kämpfen, und was sie bereit sind, dafür auf sich zu nehmen.
Was das Finanzielle angeht, würde ich mir wünschen, dass in unserem Land genauso viele Ressourcen in den Einsatz für mehr Lebensqualität gesteckt werden wie in den Kampf ums Leben. In den Hospizen oder in der Palliativversorgung hat sich da bereits viel Positives entwickelt. Das gleiche würde ich mir für alle auf Hilfe angewiesene Menschen in den Pflegeheimen, in der ambulanten Pflege und in Einrichtungen der Behindertenhilfe wünschen. Sterbehilfe wäre meiner Ansicht nach weniger ein Thema, wenn wir die Pflege und Betreuung besser ausstatten.


Sie beschäftigen sich seit Jahrzehnten mit dem Thema Altern. Warum haben so viele Menschen Angst davor?
Weil es uns schwerfällt, Hilfe anzunehmen oder gar auf Hilfe angewiesen zu sein. Die meisten Menschen helfen lieber. Beides gehört für mich zum Menschsein dazu. Hilfe dankbar anzunehmen, kann sehr beziehungsfördernd sein.
Aus meiner Sicht ist das Empfangen ebenso wie das Geben eine Grundhaltung des Glaubens. Hilfsbedürftig zu sein ist nichts Defizitäres, auch wenn die Gesellschaft uns das oft weismachen will.

Eine dreiteilige öffentliche Gesprächsreihe zum Thema Altern konnte wegen der Pandemie nicht stattfinden. Was raten Sie Menschen, die sich mit dem Thema beschäftigen?

Ich rate dringend, sich früh damit auseinanderzusetzen, dass man irgendwann nicht mehr so autonom leben kann wie man es als junger Mensch tut. Das „Nicht-mehr-bestimmen-können“ muss man einüben, genauso wie man schon in jungen Jahren lernen kann, Hilfe anzunehmen.
Es sind drei Komponenten, die unser Leben ausmachen: das Wahrnehmen, das Denken und das Tun. Im Alter verschiebt sich der Schwerpunkt auf das Wahrnehmen, weil das Tun – und bei Demenzkranken auch das Denken – nicht mehr so gut funktionieren.
Unsere Gesellschaft stellt aber das Denken und das Tun stark in den Vordergrund. Wenn wir dem Wahrnehmen, dem reinen Dasein einen höheren Stellenwert geben, und lernen, immer wieder die Hände in den Schoß zu legen und aus dem Macher-Modus auszusteigen, kann uns das später helfen, das Alter mit seinen Einschränkungen anzunehmen.
Das Gespräch führte Andrea Wagenknecht


Zur Person:
Claudia Vetter-Jung ist seit 1998 evangelische Pfarrerin im Dekanat Wiesbaden – zunächst als Gemeindepfarrerin in Biebrich, seit fast 20 Jahren als Altenheimseelsorgerin im Katharinenstift in Biebrich und seit 2009 zusätzlich als Klinikseelsorgerin in der DKD Helios Klinik. Dazwischen hat sie auf einer Projektpfarrstelle Demenz und Hospiz gearbeitet. Ihre beruflichen Schwerpunkte sind die Arbeit mit dementiell erkrankten Menschen und die Begleitung von Menschen in der letzten Lebensphase.

 

 

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