Vortrag
Streiten ist das Kuscheln der Pubertät
A. WagenknechtDr. Reinhard Winter06.11.2021 aw Artikel: Download PDF Drucken Teilen Feedback
Wenn Jungen in die Pubertät kommen, erkennen Eltern ihre Söhne oft nicht wieder: Manche sind ständig auf Krawall gebürstet und rasten regelmäßig aus, andere ziehen sich völlig zurück, verstummen und verschwinden hinter Handy oder Computer.
„Ohne Streit und Konflikte, ohne Krise gibt es kein Wachstum“, das steht für Reinhard Winter außer Frage. Und es gelte für die pubertierenden Jungen genauso wie für die Eltern. Denn die Pubertät sei auch eine Entwicklungsaufgabe für die Eltern.
„Es sind komplexe Prozesse, die während der Pubertät in Gehirn und Körper vor sich gehen. Die Jungen müssen eine Persönlichkeit entwickeln. Das ist anstrengend. Auf diesem Weg holpert und spannt es eben, das muss so sein“, so Winter.
Hinzu kommt: In der Pubertät schießt bei Jungs das Testosteron durch den Körper. Das ist ein Hormon, das sie dazu treibe, Neues auszuprobieren, risikofreudiger und auch impulsiver zu werden.
Über der Identitätsfindung schwebe außerdem immer die Frage: Wie funktioniert Männlich-Sein? Dass Jungen in Familie und Schule vorwiegend von Frauen erzogen werden, erschwere ihre Identitätsfindung. Ihnen fehlen die männlichen Modelle.
Medial werden sie darüber hinaus etwa mit Figuren wie James-Bond konfrontiert: „In diesem Spannungsfeld müssen sie sich dann finden und fragen sich zugleich selbst dabei ständig, wie sie attraktiver werden können“, so Winter.
Hinzu komme, dass der Umbau des eigenen Körpers nie einem James-Bond-Ideal entspreche: „Häufig schießen Jungs in der Pubertät erst mal in die Höhe, dann werden sie als Lauch in der Schule beschimpft. Denn als Mann ist man nicht Lauch, sondern besser Schrank.“
Eindringlich appelliert Winter an die Eltern: „Nehmen Sie trotz aller Konflikte Ihren Jungen wahr, interessieren Sie sich für ihn.“ Auch Konflikte seien eine Form der Beziehung. „Bleiben Sie dran, bleiben Sie in Beziehung, auch im Streit. Streiten ist das Kuscheln der Pubertät.“
In der Pubertät sei es immens wichtig an einer neuen Gesprächskultur zwischen Eltern und Sohn zu arbeiten. Denn nicht nur die Söhne würden sich aus der Kinderrolle heraus entwickeln, auch die Eltern müssten sich aus dem Kleinkind-Eltern-Sein lösen und weiterentwickeln.
Zum Beispiel sollten Eltern die pubertierenden Kinder nicht nur mit Fragen löchern oder Moralpredigten halten, sondern auch mehr über sich, und die eigenen Gefühle und Gedanken sprechen. Oft fühlen sich die vermeintlichen Gespräche für Jungen wie Verhöre an. „Wenn Ihre Sätze besonders häufig das Wort ,Du‘ enthalten, dann sollten Sie ihre Gesprächsstrategie ändern“, so Winter.
Generell helfe es den heranwachsenden Jungen, wenn sie das Vertrauen der Eltern und ihre Zuversicht spüren. „Es ist wichtig, dass Sie auch in kritischen Phasen vermitteln: Das wird schon.“
Bei allen Krisen, die die Pubertät mit sich bringe, dürfe nicht verkannt werden, dass es auch Fälle geben, wo man sich beraten lassen sollte: „Wenn Sie sich richtig Sorgen machen, Ihr Sohn alles verweigert und keine sozialen Kontakte mehr hat, dann holen Sie sich Hilfe.“
Zur Person:
Dr. Reinhard Winter ist Diplompädagoge und Leiter des Sozialwissenschaftlichen Instituts Tübingen. Er arbeitet in der Jungen- und Männerberatung, der Jugendforschung sowie in der Qualifizierung von Lehrer*innen und Fachkräften zu Jungenthemen. Er ist Autor mehrerer Bücher, verheiratet und Vater zweier erwachsener Kinder.
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