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"Gute Gemeinwesenarbeit braucht verlässliche Finanzierung"

Copyright: KBS

Im Sauerland ist jedes dritte Kind von Armut betroffen. Das Kinder- und Beratungszentrum Sauerland (KBS) ist Anlaufstelle für Familien, Kinder und Jugendliche in allen Alters- und Lebenslagen. Christine Gilberg kennt den Stadtteil in und auswendig - seit 18 Jahren ist sie im KBS für die Menschen da, seit knapp zwei Jahren leitet sie die Einrichtung. Kinder- und Jugendarmut erlebe sie in ihrer Arbeit täglich, erzählt sie im Interview:


Wie zeigt sich Kinder- und Jugendarmut in Ihrer täglichen Arbeit?

Armut ist oft mit Scham behaftet: Bei kostenpflichtigen Ausflügen der Grundschule nehmen wir wahr, dass deutlich mehr Kinder krankgemeldet werden.
Auch sieht man es den Kindern aus armen Familien leider oft an: Sie kommen in Kleidung zur Kita, die zu klein ist oder nicht der Jahreszeit entspricht.
Und man sieht, dass sie oft viel zu fett- und zuckerreich essen. Den Eltern fehlt Geld für gesunde Lebensmittel, aber auch das Wissen über ausgewogene Ernährung: Eine Packung Toastbrot ist eben billiger als das Vollkornbrot. Wie viel Zucker in einem Müsliriegel, Fruchtjoghurt oder in der Fertigsauce enthalten sind, wissen die Eltern oft nicht.
Hinzu kommen motorische Schwierigkeiten: Wir beobachten, dass Kinder oft nicht balancieren oder springen können, weil das Spielen im Freien nicht gefördert wird.
Im Sauerland leben rund 80 Nationen, gerade die Frauen, die nicht arbeiten, können oft auch nach Jahrzehnten kein Deutsch. Die muttersprachlichen Netzwerke scheinen zunächst ausreichend. Dennoch müssen die Kinder oft dolmetschen – auch daran zeigt sich Armut. Materielle Armut und sogenannte Bildungsarmut liegen dann oft nah beieinander.


Welche Auswirkungen oder Spätfolgen wird der wochenlange Lockdown auf die von Armut betroffenen Kinder und Jugendlichen haben?
Familien haben uns von Stresssituationen, Gewalterfahrungen und Überforderung berichtet. Die Corona-Zeit macht deutlich, dass viele von Armut betroffene Familie die sozialen Unterstützungssysteme dringend benötigen. Dazu zählen auch soziale Strukturen wie die Nachbarschaft. Corona hat uns erneut gezeigt, wie wichtig die Nachbarschaft als soziales Netz ist, etwa um Kinderbetreuung zu organisieren. Wir versuchen isoliert lebende Familien jetzt noch stärker miteinander zu vernetzen.

Die Zugänge zu Freizeitaktivitäten sind schwieriger geworden: Für die Fasanerie oder das Freibad muss man sich erst digital anmelden, bei manchen Angeboten dann auch online bezahlen – das können viele nicht. Aktuell schulen wir die Menschen ganz gezielt in diesen digitalen Kompetenzen.
Die Verunsicherung ist groß: Was ist ab wann wieder erlaubt und was nicht? Was läuft anders als gewohnt? Das geringe Bildungsniveau, Sprachbarrieren, schlecht verständliche Vorgaben, Halbwissen und Missverständnisse tragen dazu bei, dass die Menschen ängstlich, unsicher und manchmal auch wütend sind. Informieren, erklären und aufklären – das wird noch stärker unsere Arbeit bestimmen.


Wie unterstützen Sie betroffene Familien, Kinder und Jugendliche?

Viele unserer Bewohner*innen haben Sprachschwierigkeiten. Um über Angebote zu informieren, arbeiten wir mit Bildern, Piktogrammen und leichter Sprache. Am besten funktioniert die direkte Ansprache. Irgendwo einen Flyer auslegen oder einen Aushang machen, hat kaum Sinn.
Eltern können sich bei uns kostenlos beraten lassen: Es gibt Schuldnerberatung, Hilfe bei Bewerbungen, bei Anträgen zu Fördermitteln, Tipps für den Umgang mit wenig Geld sowie Unterstützung bei Erziehungsfragen. In der Kita liegt Wechselkleidung bereit, die nicht zurückgegeben werden muss. Dank unseres Essensprojekts bekommen Schulkinder ein ausgewogenes Mittagessen - zum Teil ist es die erste Mahlzeit am Tag.
Wir bieten kostenfreie Schülerhilfe, Ausflüge, Freizeit- und Sportangebote. Räume, Laptop und Drucker sind genauso kostenlos nutzbar wie Spiele und Material, etwa Zelte, Schlafsäcke oder Fahrräder.


Was wünschen Sie sich, damit Sie den Herausforderungen von Kinder- und Jugendarmut besser begegnen können?
Wir wünschen uns Bildungsgerechtigkeit: Schulkinder sollten etwa technische Ausstattungen von der Schule gestellt bekommen.
Wir wünschen uns eine Gerechtigkeit beim Zugang zu kulturellen Angeboten, etwa freier oder ermäßigter Eintritt zu Theatern, Museen und Freizeitangeboten.
Wir wünschen uns stärkere finanzielle Unterstützungen bei Essensprojekten und Angeboten von Bewegungs- und Sportangeboten. Und wir brauchen für unsere gesamte Gemeinwesenarbeit Finanzierungsicherheit.

Interview: Nicole Nestler

Hintergrund:
Unter dem Dach des KBS gibt es neben einer Kindertagesstätte und dem Jugendzentrum Trafohaus, ein Kinderelternzentrum KiEZ, die Beschäftigungsinitiative, 50plus-Angebote und das Stadtteilbüro fürs Quartiersmanagement. Alle Angebote im KBS sind für Kinder und Jugendliche kostenlos oder sehr günstig. Mehr Informationen: www.kbs-wiesbaden.de

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