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300 Jahre Kant

"Kant vertraut darauf, dass Menschen kritisch denken können"

© https://commons.wikimedia.orgDenkmal Kants in seiner Heimatstadt Königsberg, heute Kaliningrad (Bildhauer: Christian Daniel Rauch, restauriert von Harald Haacke)

Im April hat sich Immanuel Kants Geburtstag zum 300. Mal gejährt. Viele seiner Ideen haben unser Verständnis von Menschenwürde, Rechtsstaat und freiheitlicher Demokratie geprägt. Die Wissenschaftlerin Dr. Margit Ruffing kommt aus Naurod und forscht seit Jahrzehnten zu Kant.

© privatMargit Ruffing

Ruffing ist Geschäftsführerin der Kant-Forschungsstelle an der Johannes-Gutenberg-Universität Mainz, sie gibt Kant-Lehrveranstaltungen und ist Redakteurin der Fachpublikation „Kant-Studien“. Ihr Schwerpunkt ist Kants Moralphilosophie. Ruffing ist außerdem im Kirchenvorstand der Evangelischen Kirchengemeinde Naurod. Themen, die Kant umgetrieben haben, sind bis heute aktuell. Margit Ruffing erklärt im Gespäch unter anderem, warum das so ist:

Wie kamen Sie zu Kant?
Ich habe in der Schule im Ethik-Unterricht ein Kant-Referat halten müssen – das hat mich damals ziemlich überfordert. Ich habe mir dann vorgenommen: Kant willst du irgendwann mal richtig verstehen. Kant hat mich dann im Philosophiestudium weiterhin fasziniert und das ist bis heute so. Seine langen Schachtelsätze zu knacken – das finde ich spannend.


Ist Kant noch beliebt bei den Studierenden?
Ja, Kant zieht immer noch. Aber ich beobachte, dass es schwieriger wird, seine Texte zu vermitteln: Seine eigenwillige Terminologie ist eine Hürde. Begriffe wie Wille, Pflicht oder Idee werden mit der Alltagssprache in Verbindung gebracht. Abstrahieren und wie Kant sagen würde, reine Gedankendinge erfassen –  das fällt vielen schwer. Texte immer nur auf eigene Erfahrungswelten zu beziehen und sie dann abzutun, anstatt sich auf das Denken einzulassen – das erlebe ich leider oft. In der Wissenschaftswelt ist Kant ungebrochen populär: Jedes Jahr erscheinen 700 bis 1000 Titel zu ihm – er ist der Philosoph, der weltweilt am intensivsten erforscht wird – in allen Bereichen.


Was war damals so bahnbrechend an seinem Denken?

Kants Erkenntnis, dass Freiheit ein angeborenes Recht ist. Er meinte vor allem die innere Freiheit: Wenn der Mensch sich nicht als frei denkt, dann kann er kein moralisches Wesen sein. Und aufgrund dieser inneren Freiheit können wir uns verpflichten – ich kann mir selbst Regeln geben, die ich für vernünftig halte und die dann auch für alle vernünftig sind. Doch auch äußere Freiheit steht jedem Menschen zu, und muss durch Gesetze und den Rechtsstaat geschützt werden, so dass sie neben der Freiheit des Nächsten bestehen kann.


Warum lohnt die Beschäftigung mit Kant heute noch?
Kant hat in vielerlei Hinsicht die Basis für unser heutiges Selbst- und Weltverständnis gelegt. Seine Theorie des Völkerbundes aus der Schrift „Zum Ewigen Frieden“ ist etwas, was bis heute wirkt und was in der Institution der Vereinten Nationen verwirklicht wurde. Seine Weltfriedensordnung bräuchten wir heute.

Kants Moralphilosophie ist bis heute wichtig - sie ist nicht unzugänglich oder weltabgewandt, wie viele meinen. Freiheit ohne Gesetz funktioniert nicht, und der kategorische Imperativ ist das Gesetz der Vernunft, das auf das Gute für alle zielt. Kant vertraut darauf, dass Menschen kritisch denken können, dass sie selbstkritische Urteile fällen können. Wir nehmen gesellschaftlich ja durchaus wahr, dass Vernunft an Bedeutung verliert. Dabei wäre dieses kritische Denken in der heutigen Gesellschaft wichtiger denn je. Ein zentrales Motiv seiner Moralphilosophie ist die Menschenwürde – heute eines unserer Grundrechte.


Sie sind selbst gläubig und in der evangelischen Kirchengemeinde Naurod im Kirchenvorstand engagiert. Wie geht Kants kritisches Denken mit Religion zusammen?

Für Glaubensfreiheit und Religion hat sich Kant eingesetzt. Er lehnt in weiten Teilen das ab, was Menschen aus den Kirchen machen, weil es keinen Raum für Vernunft lässt. Die Kirchen sind Menschenwerk, deswegen sind sie auch fehlerbehaftet. Sie schaffen sich selbst ab, sagt Kant, wenn der Kirchenglaube nicht vernünftig wird.
Für Kant ist klar: Er muss eine höhere Macht geben, sonst könnte es ein so ausgetüfteltes und in sich schlüssiges System wie das der Natur nicht geben. Gott ist für Kant eine metaphysische Idee, man kann weder beweisen, dass es ihn gibt, noch, dass es ihn nicht gibt. Aber der Mensch hat ein metaphysisches Bedürfnis.
Kant ist gegen eine dogmatisch verstandene Religion, gegen eine zu starre Liturgie und Glaubensvorschriften, weil das wahrhaft Moralische – das im Übrigen auch der Kern des Christentums sei – davon verdrängt wird. Die Evangelische Kirche ist für mich eine gute Option, denn es gibt eben nicht die Vorschrift, „du musst das und das glauben“, aber viele Menschen, die aus vernünftigem Geist predigen und handeln. Für mich ist mein Glaube kein Widerspruch zu Kants Denken. Interview: Andrea Wagenknecht


Hinweise:

  • Margit Ruffing leitet einen Theologisch-Philosophischen Gesprächskreis einmal im Monat im Evangelischen Gemeindehaus in Naurod (Kirchhohl 3, 65207 Wiesbaden). Gäste sind herzlich willkommen: Infos und Termine: ev-kirche-naurod.de.
  • Dienstag, 18. Juni, 19 Uhr, Haus an der Marktkirche (Schlossplatz 4, 65183 Wiesbaden): Podiumsdiskussion zu Kants Friedensphilosophie und Freiheitsbegriff: In Kooperation mit der Kant-Gesellschaft werden Dr. Margit Ruffing, Prof. Dr. Konstantin Pollok (beide Uni Mainz) und Prof. Dr. Karoline Reinhardt (Uni Passau) die Werke des großen Aufklärers diskutieren. Dr. Nora Schleich (EwB Luxemburg) moderiert. Eintritt frei.



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